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ESA-Mis­sion FORUM: »Ein Satel­lit gewor­de­nes Fie­ber­ther­mo­me­ter mit extre­mer Präzision«

For­schende des Fraun­ho­fer IOF ent­wi­ckeln inno­va­tive Dia­mant­struk­tu­ren für die Erfor­schung des Klimawandels

Fie­ber­mes­sen für die Erde – das ist der Auf­trag der FORUM-Mis­sion. Die für 2027 geplante Satel­li­ten­mis­sion der Euro­päi­schen Welt­raum­be­hörde (ESA) möchte den Wär­me­haus­halt der Erde ana­ly­sie­ren, um so die glo­bale Erwär­mung und das Welt­kli­ma­sys­tem bes­ser zu ver­ste­hen. Für das Spek­tro­me­ter an Bord des Satel­li­ten haben For­schende aus Jena eine neu­ar­tige Dia­man­ten­struk­tur ent­wi­ckelt, die prä­zise Mes­sun­gen im extrem-fer­nen Infra­rot­be­reich ermög­licht. Die ers­ten flug­taug­li­chen Kom­po­nen­ten wur­den nun ausgeliefert.

Die Erde gerät ins Schwit­zen – buch­stäb­lich. Die Jahre 2018 und 2022 gehör­ten zu den wärms­ten seit Beginn der Wet­ter­auf­zeich­nun­gen. Ein wich­ti­ges Puz­zle­stück bei der Unter­su­chung der glo­ba­len Erwär­mung ist dabei die Abstrah­lung von Wärme von der Erde ins Welt­all. »Der Kli­ma­wan­del wird durch ein Ungleich­ge­wicht im Strah­lungs­haus­halt der Erde ver­ur­sacht«, erklärt Dr. Falk Eilen­ber­ger, For­scher am Fraun­ho­fer IOF. »Das Pro­blem: Kli­ma­gase redu­zie­ren die Menge an Wärme, die von der Erde ins Welt­all abge­strahlt wird. Die Folge: Es wird hier unten zuneh­mend wär­mer. Die­ser Pro­zess ist jedoch äußerst kom­plex und wird von Fak­to­ren wie der Ver­tei­lung der Gase, der Wol­ken­bil­dung und den Strö­mun­gen in der Atmo­sphäre beein­flusst«, so der For­scher weiter.

Um eben diese kom­ple­xen Mecha­nis­men bes­ser zu ver­ste­hen, will die ESA vor­aus­sicht­lich 2027 die Mis­sion FORUM star­ten. Mit einem Satel­li­ten soll der Strah­lungs­haus­halt der Erde lokal genau auf­ge­nom­men wer­den. »Im über­tra­ge­nen Sinne heißt das: FORUM ist ein Satel­lit gewor­de­nes Fie­ber­ther­mo­me­ter mit extre­mer Prä­zi­sion«, ver­sinn­bild­licht Eilen­ber­ger. Für die »Fie­ber­mes­sung« kommt auf dem Satel­li­ten ein Spek­tro­me­ter zum Ein­satz. Die­ses zeich­net die Wär­me­strah­lung der Erde im extrem-fer­nen Infra­rot­be­reich auf – das heißt von ca. 10 bis 100 Mikro­me­ter (µm). Die wesent­li­che Schlüs­sel­kom­po­nente hier­bei ist der Strahl­tei­ler des Spektrometers.

Geätzte Dia­man­ten­struk­tur fun­giert als Strahl­tei­ler im Inter­fe­ro­me­ter  

Genau hier spie­len das Fraun­ho­fer-Insti­tut für Ange­wandte Optik und Fein­me­cha­nik IOF sowie das Insti­tut für Ange­wandte Phy­sik der Fried­rich-Schil­ler-Uni­ver­si­tät eine ent­schei­dende Rolle: Für eben die­sen Strahl­tei­ler haben For­schende bei­der Insti­tute eine inno­va­tive Dia­mant­mi­kro­struk­tur für die hoch­prä­zise Mes­sung von Spek­tren im extrem-fer­nen Infra­rot­be­reich ent­wi­ckelt und gefer­tigt. Dabei kommt eine spe­zi­elle Tech­no­lo­gie zum Ein­satz, bei der mikro­sko­pi­sche Pyra­mi­den in einen Dia­man­ten geätzt werden.

»Für die extreme Band­breite, die von FORUM auf­ge­nom­men wer­den soll, brau­chen wir einen Strahl­tei­ler, der über den gesam­ten Spek­tral­be­reich durch­sich­tig ist«, erläu­tert Falk Eilen­ber­ger, der die Abtei­lung für Mikro- und Nano­struk­tu­rierte Optik am Fraun­ho­fer IOF lei­tet. Er fährt fort: »Es gibt kein opti­sches Mate­rial, das diese Eigen­schaft hat – außer Dia­mant.« Ent­spre­chend nutz­ten die For­schen­den einen Dia­man­ten von der unge­fäh­ren Größe einer Kre­dit­karte (~43mm x 64 mm). Des­sen glän­zende (und spä­ter zusätz­lich beschichte) Ober­flä­che fun­giert als Strahl­tei­ler. Und hier war­tet schon die nächste Her­aus­for­de­rung, denn: »Es darf aber nur eine Ober­flä­che des Dia­man­ten glän­zen«, erklärt Eilen­ber­ger. »Unser Job war es also, die zweite Ober­flä­che zu entspiegeln.«

Her­kömm­li­che Ent­spie­ge­lungs­ver­fah­ren, wie sie etwa bei Bril­len­glä­sern zum Ein­satz kom­men, sind für diese Anwen­dung unge­eig­net, da sie aus Schich­ten ver­schie­de­ner Mate­ria­lien bestehen und nicht über den gesam­ten Spek­tral­be­reich trans­pa­rent sind. Die For­schen­den haben daher einen spe­zi­el­len Ätz­pro­zess ent­wi­ckelt, um die erfor­der­li­chen Struk­tu­ren in den Dia­man­ten ein­zu­brin­gen. Dafür lie­ßen sie sich von der Natur inspi­rie­ren – und zwar vom Auge der Motte.

Nach dem Vor­bild der Natur: Mot­ten­au­gen als Inspiration

»Mot­ten­au­gen sind breit­ban­dig ent­spie­gelt«, erör­tert Eilen­ber­ger. »Sie errei­chen diese Ent­spie­ge­lung durch mikro­sko­pisch kleine Pyra­mi­den auf der Ober­flä­che. Das Fraun­ho­fer IOF hat die­ses Vor­bild aus der Natur bereits vor eini­gen Jah­ren für Opti­ken im sicht­ba­ren über­nom­men. Wir haben die­sen Ansatz für die FORUM-Mis­sion nun auf die Dia­mant­strahl­tei­ler angewandt.«

Obwohl das Kon­zept damit schon län­ger am Fraun­ho­fer IOF zum Ein­satz kommt, sind die Anfor­de­run­gen für eine Anwen­dung im Fall der FORUM-Mis­sion extrem, wie der For­scher wei­ter aus­führt:  »Nicht zuletzt da Dia­mant – bekannt als eines der här­tes­ten Mate­ria­len der Welt – nur sehr schwer zu struk­tu­rie­ren ist. Die extreme Band­breite bedarf wei­ter­hin Pyra­mi­den mit extre­mer Form­treue. Wir muss­ten also einen Ätz­pro­zess ent­wi­ckeln, der Struk­tu­ren der not­wen­di­gen Form exakt und repro­du­zier­bar erzeugt.«

Gelun­gen ist dies den For­schen­den mit­hilfe eines reak­ti­ven Ionen­ätz­pro­zess, mas­kiert durch eine Elek­tro­nen­strahl­li­tho­gra­phisch auf­ge­brachte Maske. Im Ergeb­nis erreich­ten sie eine Ent­spie­ge­lungs­ef­fi­zi­enz von mehr als 96% durch eine Struk­tur­tiefe von mehr als 7 Mikro­me­tern und eine prä­zise defi­nierte Flan­ken­steil­heit.  Hier waren die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen vom Insti­tut für Ange­wandte Phy­sik (IAP) der Uni­ver­si­tät Jena maß­geb­lich betei­ligt: »Ohne diese abso­lut exzel­lente Zusam­men­ar­beit und die her­vor­ra­gende Ätz-Tech­no­lo­gie­ent­wick­lung des IAP, wäre die Struk­tu­rie­rung des Dia­man­ten nicht mög­lich oder so erfolg­reich gewe­sen«, sagt Eilenberger.

»Dia­monds are pho­to­nics’ best fri­end«: Poten­tial als opti­scher Werkstoff

Für Falk Eilen­ber­ger und sein Team zeigt die Ent­wick­lung ins­ge­samt große Poten­tiale in der Ver­wen­dung von Dia­mant als opti­schem Werk­stoff auf: »Die­ses Pro­jekt zeigt auch, dass wir das Poten­tial von Dia­mant als opti­schem Werk­stoff erst durch eine Nano­struk­tu­rie­rung wirk­lich nut­zen kön­nen«, erklärt er. Er erläu­tert wei­ter, dass Dia­mant das ein­zige opti­sche Mate­rial ist, das vom ultra­vio­let­ten Licht bis zum tie­fen Infra­rot nutz­bar ist. »Durch seine hohe Fes­tig­keit und Wär­me­leit­fä­hig­keit eig­net er sich auch exzel­lent als Mate­rial für Hoch­leis­tungs­la­ser­op­ti­ken. Im Gegen­satz zu klas­si­schen Laser­op­ti­ken kann Dia­mant selbst extremste Umge­bungs­be­din­gun­gen klag­los überstehen.«

Er fährt fort: »Wir möch­ten mit dem Pro­jekt auch zei­gen, dass nano­struk­tu­rier­ter Dia­mant das Mate­rial der Zukunft für Opti­ken im extre­men Bereich ist. Mit unse­ren Pro­zes­sen sind wir exzep­tio­nell auf­ge­stellt diese Zukunft zu gestal­ten: Dia­mant-Meta­op­ti­ken, wafer­ska­lige Dia­mant-Magnet­feld-Sen­so­ren, Reso­nante-Dia­mant-Spie­gel und vie­les mehr. Man könnte sagen: Dia­monds are pho­to­nics’ best friend.«

Erfolg­rei­che Über­gabe nach vier Jah­ren Entwicklungsarbeit

Die FORUM-Mis­sion mar­kiert einen bedeu­ten­den Mei­len­stein in der Erfor­schung des Kli­ma­wan­dels sowie der Anwen­dung von Dia­mant­struk­tu­ren in der Raum­fahrt­tech­no­lo­gie. Ins­ge­samt hat das Jenaer For­schungs­team – bestehend aus Mit­ar­bei­ten­den des Fraun­ho­fer IOF sowie des IAP – vier Jahre an der Ent­wick­lung der neu­ar­ti­gen Dia­man­ten­struk­tur gear­bei­tet. Die Ent­wick­lungs­ar­beit erfolgt in enger Abstim­mung mit dem Auf­trag­ge­ber OHB SE sowie der ESA als Missionsträger.

Der flug­taug­li­che Strahl­tei­ler zur Anwen­dung im Rah­men der FORUM-Mis­sion wurde im Dezem­ber 2023 nun an OHB übergeben.

Unter fol­gen­dem Link fin­den Sie die Pres­se­mit­tei­lung sowie Bild­ma­te­rial:
https://s.fhg.de/FORUM-23